Donnerstags ist Körpertherapie. In meinen Augen einer der wichtigsten Bausteine der Therapie von Essstörungen, aber auch psychischen Erkrankungen im Allgemeinen. In den Augen der Patient:innen oft ein eher beängstigendes Unterfangen und nicht gerade die allerliebste Beschäftigung.
Als es darum ging, ob ich ein paar Bausteine der Körpertherapie übernehmen könnte, standen zunächst wieder einige Fragezeichen im Raum. Wie seltsam ist es nun, wenn der einzige Mann im Therapeutenteam die Körpertherapie übernimmt? Macht das alles nur noch komplizierter für die Patient:innen? Wird uns die Gruppe gehörig um die Ohren fliegen? Ist das überhaupt zumutbar oder sind hinterher alle ganz verschreckt? Nach einem anfänglichen Aufruhr auf allen Seiten (auch auf meiner) wurden wir dann alle wieder ganz entspannt und haben uns daran erinnert, dass das Geschlecht als solches ja eben doch gar nicht so aussagekräftig ist und wir es vielleicht nicht bedeutsamer machen sollten, als es ist. Und nach einem kurzen Stimmungsbild innerhalb der Patientengruppe hatte ich dann also tatsächlich einen Freifahrtschein für das Experiment „Mann in der Körpertherapie". Inzwischen bin ich schon seit über einem Jahr an Bord und wurde zwischenzeitlich glücklicherweise auch nicht gekentert.
Worum geht es also in der Körpertherapie? In meinen Blöcken eigentlich um alles, was nicht mit Körpermaßen, äußerer Erscheinung oder spezifisch essstörungsbezogenen Themen zusammenhängt. Das ist selbstverständlich auch wichtig, habe ich allerdings an eine Kollegin abgetreten, damit ich mich voll und ganz aufs Spüren konzentrieren kann. Und das mit dem Spüren ist ja so eine Sache... den ganzen Tag rennen wir mit unserem Körper durch die Gegend, aber so wirklich wahrnehmen tun wir ihn dabei nicht. Mir ist es also in erster Linie erstmal wichtig, überhaupt wieder im Körper anzukommen. Den Boden als sicheren Untergrund unter den Füßen spüren, die Atmung als kontinuierlichen inneren Begleiter erleben, die Vorgänge in unserem Körper ganz bewusst beobachten. Wenn wir das hinkriegen, sind wir uns schon ein gutes Stück näher gekommen.
Die Beschäftigung mit dem eigenen Körper ist für die Patient:innen nicht selten eine ganz schön gruselige Angelegenheit. In der Regel landen sie mit der Aufmerksamkeit ganz schnell an den Körperstellen, die nicht gefallen oder die sich nicht gut anfühlen, geraten in die Bewertung und schließlich nicht selten in Stress und schon rauscht ihre Gewichts- und Körperakzeptanz sozusagen in den Keller.
Von all dem möchte ich den Patient:innen eigentlich gerne ein bisschen Abstand gönnen, wenn wir zusammenkommen und uns mit dem Körper beschäftigen.
Meistens sucht sich jede/r zu Beginn eine Matte und dann einen guten Platz im Raum. Das ist schon die erste Herausforderung. Ziel ist, den Körper einen sicheren Ort finden zu lassen, von dem aus es überhaupt erst möglich ist, ins Spüren zu kommen. Und oft wissen die Patient:innen gar nicht, was ihnen gut tut, was sie jetzt gerade brauchen. Wir alle sind daran gewöhnt, uns der Umwelt anzupassen, Widrigkeiten anzunehmen und auszuhalten. Mir geht es darum, dass die Patient:innen beginnen, darüber nachzudenken, ob sie sich wirklich immer in Umstände einfügen müssen oder ob es nicht auch möglich ist, zumindest Kleinigkeiten so zu verändern, dass es ein bisschen angenehmer sein darf. Und das beginnt schon bei der Wahl des Sitzplatzes und damit dem Abstand zu mir und den anderen, der Blickrichtung, der Helligkeit, usw. – jede/r soll sich die für sich bestmöglichen Startbedingungen für die Stunde schaffen.
Und dann tauchen wir ein in all das, was unser Körper erzählt oder was wir ihm gern erzählen möchten, dabei jede/r immer so weit, wie es okay ist. Das ist in meinen Augen ohnehin ein ziemlich wichtiges Gesetz jeglicher Therapie und insbesondere der Körpertherapie: Jede/r macht so weit mit, wie es sich okay anfühlt. Manches ist vielleicht ungewohnt oder neu oder peinlich oder seltsam; dann schadet es nicht, über den eigenen Schatten zu springen und mal ein bisschen auszuprobieren. Manches kann sich aber auch einfach nicht gut anfühlen oder triggern. Dann darf und soll bitte jede/r einen Schritt rausmachen und gut für sich sorgen. Niemand muss irgendwas. Grad der Körper musste bei unseren Patient:innen schon so vieles, was er nicht wollte und ihm nicht gut getan hat. Das soll nun endlich anders sein...
Zusammen begeben wir uns dann jedenfalls in die Welt der Gefühle und erleben, dass der Körper manchmal schon vor dem Kopf weiß, was in ihm gerade passiert. Wir lernen die Signale unseres Körpers kennen und wie wir uns von außen und innen regulieren können. Wir beschäftigen uns mit unseren Grenzen und bauen Räume, in denen wir uns wohlfühlen können. Wir stellen Kontakt her zu unserem Nervensystem, das sich tagtäglich echt ins Zeug legt für uns und so wichtige Informationen in sich trägt. Und wenn wir anfangen, hinzuhören, gewinnen wir einen großen Teil von uns zurück, der uns womöglich auf dem Weg abhandengekommen ist. Und das kann eine ziemlich erstaunliche und wertvolle Erfahrung sein: Einen Körper zu haben, der jede Menge zu erzählen hat und der uns ein treuer, verlässlicher und ganz schön weiser Begleiter auf den Pfaden durchs Leben sein kann...
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Jan Winzinger ist Psychologe (M.Sc.), Systemischer Therapeut und Familientherapeut und seit Anfang 2019 im TCE.