Nach oben
Für Dein Leben ohne Essstörung.
?

Online – im Chat mit der Esstörung

Erfahre mehr über die Essstörung
in unserem Blog >

TCE-Blog

07. Februar 2024 · Kreatives

Fällst du noch oder fliegst du schon?

Ich bin ein Vogelnest, ein wärmendes, fürsorgliches, verantwortungsbewusstes, sensibles Vogelnest. Ich wurde in meinen Eigenschaften missbraucht und ausgenutzt, ich wurde verletzt und hintergangen...
mein Nest wurde eines Tages heimlich auch zum Nest eines Kuckucks...
Meines Kuckucks: „Du hast dir einen Teil der Amelie erkämpft, ihr Vertrauen gewonnen und dich eingenistet. Du hast dich eingerichtet, eingenistet im Amelie-Kuckucksnest.

Am Anfang hat sie es gar nicht bemerkt, wie dein Ei in ihr Nest abgelegt wurde. Sie hat dich gehütet, bebrütet, sie hat dich geschützt. Sie hat dich beschützt wie ihr Eigentum, wie ihre anderen, ihr typischen Eigenschaften auch.
Sie hat dich liebgewonnen, als wärst du ihr Eigen. Du warst klein und unscheinbar. Du warst leicht zufriedenzustellen. Sie konnte dich versorgen, mal einfach so und sie war gut darin. Gut, besser, am besten. So unheimlich gut. Pure Perfektion.
Doch du warst das Kuckuckskind und du wolltest mehr, mehr, immer mehr, immer und immer mehr, du wolltest und solltest wachsen. Sie gab dir Nährstoffe und Wärme, all ́ die Liebe und Zuneigung. Sie gab dir letztlich IHRE Nährstoffe.

Aus „so bleiben“ wurde immer weniger, immer weniger sie und immer mehr du. Die anderen Eigenschaften, Charakterzüge wurden aus dem Nest verdrängt, bis es nur noch euch beide gab. Langsam erschrak sie, doch sie wollte ihrem Kuckuck nichts Böses.

Du bist der Kuckuck und du warst mittlerweile viel zu groß und dein Nest wurde dir zu eng, zu klein, zu schwach und so fraßt du weiter, weiter und immer weiter, du wolltest sie gänzlich fressen, aufessen, vernichten, eliminieren. Du wolltest mehr, mehr Platz und ihn ihr rauben, wolltest sie minimieren, um zu profitieren. Doch diese einstige Symbiose war keine mehr, Vernichtung, kein Profitieren, kein Amelie-Sein mehr, das Gleichgewicht verschob sich, das Gleichgewicht verlor sich und so war die Zeit gekommen, fliegen zu lernen. Es wird immer der Tag kommen, an dem ein Vogel das Nest verlassen muss.“

Der 19. Juni 2023 war gekommen. Abschied nehmen, Abschied nehmen ist ein Prozess, Abschied nehmen schmerzt und auch unser Abschied, lieber Kuckuck, fällt mir schwer, aber ich möchte leben, ich möchte frei sein, unbestimmt sein, selbstbestimmt sein, ich möchte ich, ausschließlich ICH-sein.

Einzelne Federn werden immer in meinem Nest verbleiben, Erinnerungen, Gedankenfetzten,
gemeinsame Momente, doch in den vergangenen 16 Wochen durftest du fliegen lernen und ich
wünsche mir nichts mehr, als dass du dieses Fliegen für dich nutzen kannst. Nimm ́ auch du Abschied.

„Fliegst du schon oder fällst du noch?“ Ich möchte nicht mehr fallen, ich möchte fliegen, fliegen und frei sein, frei von dir, frei von mir, frei von so vielem, von so, so vielem. Ich möchte das alles und noch so viel mehr!!

 

Bildnachweis: Adobe Stock

 

Über die Autorin

Amelie, 23, Patientin der Stabilisierungsphase