"Es ist gut, sich auszudrücken." (Maja Ostaszewska als Anna)
Body ist ein außergewöhnlicher, zauberhafter und in jeder Hinsicht überraschender Film. Er beginnt mit einer völlig skurrilen Szene: ein vermeintlicher Selbstmörder hängt an einem Baum, die Polizei hat den Tatort bereits gesichert, der Tod wurde amtsärztlich festgestellt und im Beisein des Staatsanwalts schneidet man den Toten vom Ast. Während die Polizisten sich darüber beraten, was mit der Leiche geschehen soll, steht der Mann plötzlich auf und läuft in Richtung des nahen Sees davon.
"Nanu? Was ist denn das für eine schräge Geschichte?", dachte ich im Kino in diesem Moment.
In der nächsten Szene sehen wir einen unberührten Teller mit Essen, von oben gefilmt, dann ein mageres, blondes Mädchen, das einem übergewichtigen Mann dabei zusieht, wie er Hähnchenfleisch vom Knochen nagt, während sie ihm gleichzeitig detailreich den Horror der Massentierhaltung schildert. Das Mädchen ist Olga, die Tochter des Kriminalbeamten Janusz. Olga hasst ihren Vater, gibt ihm die Schuld am Tod ihrer Mutter und wirft ihm vor, sie danach allein gelassen zu haben. Seinen Ausdruck findet dieser Hass in ihrer Magersucht und Ess-Brech-Sucht.
Tatsächlich hat Janusz, der sich in seiner Arbeit Tag für Tag mit allerlei Schrecklichkeiten konfrontiert sieht, wenig Aufmerksamkeit für seine Tochter übrig. Er ertränkt die Schrecken seines Berufs und vermutlich auch den Kummer um den Tod seiner Frau lieber im Wodka. Nach einem Suizidversuch Olgas lässt Janusz seine Tochter in die Psychiatrie einweisen. Dort trifft diese auf die Psychologin Anna, die in ihrer körperorientierten Gruppentherapie versucht, die Mädchen zu einem ehrlichen Ausdruck ihrer Gefühle zu ermutigen. (Es war ganz schön seltsam, in diesen Szenen als Psychotherapeutin so eindrücklich den Spiegel vorgehalten zu bekommen.) Doch Anna ist selbst etwas merkwürdig: Sie lebt allein, teilt ihr Bett mit einer riesigen Dogge und betätigt sich in ihrer Freizeit als Medium. In einem Zustand der Trance schreibt sie Briefe von Verstorbenen an deren Angehörige. Und sie hat eine Botschaft an Olga und Janusz: Deren verstorbene Mutter bzw. Ehefrau versuche, aus dem Jenseits Kontakt mit den beiden aufzunehmen.
Was jetzt klingt wie ein abstruses Sozialdrama ist in Wirklichkeit ein unglaublich humorvolles, anrührendes und liebenswürdiges Porträt des menschlichen Lebens mit all seinen Absonderlichkeiten. Die Kamera zeigt die Dinge, ohne sie zu bewerten oder gar zu verurteilen, sie bringt uns die Figuren unglaublich nahe. Deren Körper und Gesichter werden zum entscheidenden Ausdrucksmittel und selten war eine Schlussszene heiterer und herzerwärmender als diese. Trotz seiner traurigen Grundthemen bleibt der Film hell und leicht, er nimmt seine Figuren ernst, ohne sich in ihren Schicksalen zu verlieren, und traut ihnen zu, weitaus mehr zu sein als nur "der Kommissar", "die Magersüchtige" oder "die Psychologin". Nicht umsonst hat "Body" auf der diesjährigen Berlinale den Silbernen Bären für die beste Regie gewonnen. Auch ich kann Euch diesen wunderbaren Film nur wärmstens ans Herz legen.
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Dr. Karin Lachenmeir ist Psychologische Psychotherapeutin und seit 2002 im TCE tätig, seit 2008 als Leiterin der Einrichtung. Sie ist approbierte Verhaltenstherapeutin und hat Weiterbildungen in Körpertherapie und Systemischer Beratung absolviert. Seit 2011 ist sie zudem als Dozentin und Supervisorin für verschiedene Münchner Weiterbildungsinstitute tätig. Am TCE hat sie die Verantwortung für alle personellen, organisatorischen und fachlichen Fragen. Ihre Freizeit verbringt sie am liebsten lesend oder schreibend, auf ausgedehnten Spaziergängen, im Kino, im Theater oder auf Reisen.