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02. November 2016 · Erfahrungsbericht

Entspannt Vertrauen fassen

Montag, 9:45 Uhr, Beginn der Körpertherapie. Thema der Stunde: „Sexualität, Weiblichkeit, Bedürfnisse“

Na toll, - dachte ich mir, habe ich dafür nicht noch eine viel zu naive, kindliche Einstellung? Wahrscheinlich, aber mich darauf einzulassen und es zu versuchen, ist der erste Schritt, es zu schaffen.

Die Aufgabe war relativ simpel:

1. Suche dir einen Partner.

2. Teilt euch in Partner A und Partner B auf.

Mein Kopf ratterte und begann zu arbeiten: Okay, was wird die Aufgabe sein und mit wem kann ich mir noch am ehesten vorstellen, über dieses persönliche Thema zu reden? Zum Glück hatte ich gar keine Chance, alle Mitpatienten einmal gedanklich durchzugehen, denn P. kam direkt auf mich zu und fragte mich. Auch die Rollen waren rasch verteilt.

Nun ging es weiter mit der Anweisung:

1. Partner A massiert nun Partner B an Stellen, die Partner A als angenehm zu massieren empfindet und was Partner A gut tut. Partner B soll sich darauf einlassen und sich einfach nur massieren lassen, ihm ist es aber erlaubt, bei einer „NO-GO“ Stelle Partner A zu sagen, dass er dort nicht massiert werden möchte.

2. Dann wird gewechselt und Partner B massiert Partner A an Stellen seiner Wahl zu den genannten Bedingungen.

Nach einer kleinen Zwischenpause ging es weiter mit Arbeitsauftrag 3 und 4:

3. Partner A massiert Partner B, aber diesmal sagt Partner B, wo Partner A massieren soll – an welchen Körperstellen, in welcher Intensität, in welcher Länge, auf welche Art etc.

4. Es wird gewechselt und Partner B erfüllt nun so gut es geht Partner A‘s Wünsche.

Am Schluss haben wir uns ausgetauscht und ein Feedback gegeben. Was war angenehm? Was weniger? Warum war es angenehmer? Oder warum ist uns der eine Arbeitsauftrag leichter gefallen als der andere?

Mir persönlich ist der zweite Auftrag am leichtesten gefallen ist. Ich konnte einfach meinem Drang folgen und P. dort massieren, wo ich Lust hatte: an den Schläfen, der Stirn, den Händen und den Fingern. Teilweise habe ich auch gar nicht richtig massiert, sondern – da habe ich P. vorher gefragt – einfach nur eine Minute lang meinen Kopf knapp unterhalb ihrer Schulter gehabt und ihrem Herzschlag zugehört. Ich habe ihren Nacken gekrault, lange mit ihren Haaren, Ohren und ihrem Kopf gespielt und einfach nur mit Berührungen, Wärme und Experimentierfreude gearbeitet.

Ich durfte einfach mal spüren, wie ein anderer Körper sich anfühlt. Klar habe ich schon öfters jemandem den Rücken massiert oder die Hand geschüttelt, bei engeren Freunden habe ich auch meinen Kopf auf ihre Schulter gelegt und konnte ihren Herzschlag hören. Aber sonst? Wer berührt schon die Achillesferse eines anderen, ohne eine komplette Fußmassage zu machen? Wer fährt mit den Fingern den Nasenrücken bis zur Stirn hinauf auf und ab, ohne sich dabei komisch zu fühlen?

Dank diesem Arbeitsauftrag habe ich mich berechtigt und wohlgefühlt zu tun, was ich tue. Dass P. mich gefragt hat, hat den Grundstein gelegt und mich Vertrauen fassen lassen: „Na und, wenn es ihr überhaupt nicht gefällt, dass ich mit ihren Haaren spiele, wird sie sich schon melden, sie kennt den Arbeitsauftrag – sie wird nicht böse sein“, „ich spüre ja, wenn sie ihre Beine anspannt, weil sie nicht mag, dass ich ihre Kniekehlen massiere, dann kann ich etwas daran ändern“, „ich sehe es, wenn sie die Augen öffnet, was ein Zeichen dafür ist, dass die Massage nicht angenehm ist, so dass ich auch hieran etwas ändern kann. Ich bin nicht hilflos. Ich kann bei Bedarf aktiv etwas verändern zum Vorteil beider Partner“ und vor allem - „ich kann spüren, wie sich meine Gelassenheit, mein Vertrauen, mein Wohlgefühl und meine Zufriedenheit auf sie überträgt und sie ebenso fühlen und entspannt werden lässt wie mich. Sie genießt es auch. Es ist ein gemeinsamer Genuss.“ P. und ich konnten uns teilweise richtig gut auf die Übung einlassen.

Als die Gruppe darüber berichtet hat, was ihr schwer und was leicht gefallen ist, war ich zu 100% überstimmt: Am schwierigsten, sagten sie, sei es zu massieren, ohne dass der Partner sagt, ob er es dort mag oder nicht, ob es kitzelt, unangenehm ist, es knapp an der NO-GO Grenze ist, etc.

Klar, die Angst, Grenzen zu übertreten und zu verletzen, kann einen stark hemmen. Auch ich kenne diese Angst. Doch P. vollkommen ausgeliefert zu sein und mich nur im Falle eines NO-GOs äußern zu dürfen, fand ich viel, viel schlimmer: Das Gefühl, keinen Einfluss auf das Geschehen zu haben und auch, mich von einer „Fremden“ massieren zu lassen, zu der ich (noch) kein Vertrauen habe, ist hart. Ich war mehr ver- als entspannt. Hatte die Augen NIE genüsslich geschlossen und hatte auch nie die Gelegenheit abzuschalten. Ganz anders als bei den anderen, die dem Partner mehr vertrauten als sich selbst beim Massieren, als sie Masseur waren.

Die Gruppe fand genau das am einfachsten, was ich am schwierigsten fand: sich dem Partner zu unterwerfen, fallen zu lassen, Verantwortung abzugeben, genießen und geschehen lassen, vertrauen und v.a. keine konkreten Anweisungen geben zu müssen.

Klar, auch das leuchtet mir irgendwie ein: Oftmals weiß man gar nicht, was man mag, wie man es mag, ob man es überhaupt mag etc. Das erzeugt Ängste wie: Wenn ich Partner A sage, er soll meinen Rücken massieren, und dann mag ich es doch nicht, was dann? Ist er dann verblüfft, wenn ich sofort eine andere Körperstelle nenne? Signalisiere ich ihm damit, dass er etwas falsch gemacht hat? Macht er sich dann Gedanken? Hat er Schuldgefühle? Bin ich dann schuld daran? Oder ist es schlicht undankbar, eine Massage zu bekommen und dann herumzukommandieren, wo der andere gefälligst zu arbeiten hat?

Meine Erkenntnis zu den Massageaufträgen war jedenfalls eine andere, die mich persönlich bestimmt weitergebracht hat: Ich fand es am einfachsten, meiner Intuition zu folgen, mir zu vertrauen, dass ich die Zeichen von P. richtig deute (was auch der Fall war), wenn ihr etwas gefällt oder nicht. Es war ein Erkennen von „Hey, dass gefällt mir! Wow cool, ihr gefällt es auch! Es scheint, als hätte ich ein Talent, menschliche Bedürfnisse zu erkennen!“, ein Herauskommen aus mir selbst, eine Ausgeglichenheit und Balance von Nehmen und Geben, ein Bedürfnis stillen und ein Vertrauen fassen in mich und andere.

Einfluss zu haben, Mitbestimmung, Kontrolle, dass man aktiv etwas zum Wohle beider verändern kann, keine Richtlinie, keine Regeln zu haben, keine Zwänge – aufmerksam da sein im Hier und Jetzt – genießen zu LEBEN und so Mut, zu entspannen und Vertrauen zu fassen. Das ist es, was ich aus dieser Therapiestunde mitgenommen habe. Und das Ziel, mich den Zwängen meiner Krankheit zu stellen, mich ihnen zu widersetzten, sie zu besiegen, was mich und andere, z. B. meine Familie und Freunde, glücklich machen wird. Das – und ein großes Stück Vertrauen zu P.

 

 

Über die Autorin

Lara, 19 Jahre, Patientin im TCE